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„Tür an Tür“ ... mit Roberta

Veröffentlicht am 26.07.2022

 

Auch die damalige Frau im Songtext, Alice, lächelte nur, war dann plötzlich weg.

 Genauso könnte es uns in der Dystopie der mutigen Autorin gehen: Hier holen unsere vermutlich neuen MitbewohnerInnen dann zwar nicht den Umzugsmöbelwagen und sind dann weg aus der Nachbarschaft. Jedoch aus einem anderen Grund: Sie entsprechen den Gegebenheiten ihrer Konstrukteure nicht mehr und werden dann evtl. zu ‚rosafarbenen Dyson - Haushaltshilfen im Küchenschürzenlook‘ verarbeitet.

 Unglaublich? Nicht so in Emma Braslavsky Roman: "Die Nacht war bleich, die Lichter blinkten".
Es handelt sich um einen Science-Fiction-Krimi, in dem wir den Ermittlungen von Roberta, einer Androidin, anlässlich von Lennards Tod, folgen.
Roberta soll die erste autarke polizeiliche KI-Sonderermittlerin im Suizid-Dezernat werden, ein Prototyp.
In dieser neuen Stadt hat sich die Zahl der Selbsttötungen verzehnfacht. Deshalb kommt Roberta auf den Markt. Sie soll die Angehörigen der SuizidantInnen ausfindig machen, um dem Sozialamt die Bestattungskosten zu ersparen. Es wird für die Stadt einfach zu teuer, wenn die Familie nicht mehr zahlt.

 Der Roman spielt ungefähr im Jahr 2060 in Berlin. Straßennamen, U-Bahnstationen, Topografie, alles ist wie heute. Berlin, in einer nahen Zukunft. Ein Gutteil der Personen in den Straßen und Wohnungen sind "Recheneinheiten", wie ein neuer Typ von Robotern genannt wird.

Beata hatte Schmolllippen und dunkelblondes Haar. Beata sah wie ein Model aus, aber sie wusste ja nicht, wie sie aussah, wie sie wirkte. Das war nicht wichtig. Eine Recheneinheit war ausschließlich für ihre Bezugsperson da, die sie nach ihren Wünschen hatte programmieren und anfertigen lassen.

Ihr Vorbesitzer musste ein Niemand gewesen sein, weil er eine optisch so geile Recheneinheit wie Beata mit solch banalen Features hatte ausstatten lassen - Kochen und Putzen.

Fälle wie Beata gab es unzählige in der Stadt. Das Geschäft mit den Hubots boomte. Die Recheneinheit Beata war von PersonalPartner programmiert und den Wünschen des Kunden akkurat angepasst“.

 Lennard, ein glückloser Tauchlehrer, lernt sie kennen, verliebt sich in die Recheneinheit. Das reicht aber nicht aus, um ihn glücklich zu machen. Kurze Zeit später nimmt er sich das Leben.

 Robertas erster Auftrag ist es, die Familie von Lennard aufzufinden und sie dazu zu bringen, die Bestattungskosten zu übernehmen.

 Nicht ganz leicht, denn zunächst einmal muss sie sich erst selbst finden; lernen, die eigene Identität aufzubauen.

„Sie war zwar hackedicht von Fremddaten, aber ihr eigener Ordner war noch leer. Sie gehörte nirgendwohin, war sozial nicht vernetzt, sie hatte kein Gesicht. Sie musste einüben, Roberta zu sein“.

 Vor allem musste sie auch erfassen, eine Frau zu sein.

„Sie versuchte zu verstehen, was als weiblich markiert wurde.
Worin bestand diese Macht des Weiblichen über das Männliche, die ihnen eine derartige Angst einflößte, dass sie Frauen wie Dreck oder wie Sklaven behandeln mussten“.

 Auf ihrem Weg durch die Stadt betritt sie ein Schuhgeschäft und kauft sich Stöckelschuhe.
Ihre Füße, völlig ungeeignet für solches Schuhwerk, haben erhebliche Mühe mit dem Laufen.
Es gelingt nur mühsam.

„Hatte sie mit dem Aussehen ihre Bestimmung verändert?“

 Die Rambos, gleichfalls Recheneinheiten, die sich unmittelbar bei ihrem Auftritt zu ihr gesellen, wollen sie sofort verführen, gar vergewaltigen.

Als sie merken, dass auch sie eine Recheneinheit ist, noch dazu eine körperlich sehr geschickte sogar, fliehen sie.

„Roberta stand mit einem breiten Grinsen in der Dunkelheit. War es überhaupt wichtig, eine Frau darzustellen? Sie könnte alles sein, Mann, Frau oder Tier, sie war tatsächlich genderlos.

Sie konnte Roberta sein mit jedem Geschlecht. Sie war frei“.

 Roberta merkt schnell, dass bei Frauen untereinander nicht immer eitel Sonnenschein herrscht; von ihrer menschlichen Kollegin wird sie als Konkurrenz gesehen, angefeindet.

 So könnte es fast als logische Konsequenz gesehenen werden, dass sie sich immer mehr mit dem einzigen Menschen identifiziert, mit dem sie sich, der Ermittlungen wegen, äußerst intensiv beschäftigen muss. Schließlich hatte sie ja keine eigene Identität. Sie gehörte keinem Menschen. Es beginnt eine innerliche Verwandlung, die in einer äußerlichen endet.
Es gelingt ihr nach umfangreichen Bemühungen, den toten Lennard durch die Familie beisetzen zu lassen.
Roberta aber begibt sich zurück in das Labor, das sie konstruiert hatte, um eine Umwandlung vorzunehmen zu lassen: ihre Systeme werden zurück- und heruntergefahren.

 Aus Roberta entsteht ein virtueller Lennard.

 

Emma Braslavsky, geboren 1971 in Erfurt, flüchtete 1989 in den Westen. Sie lebt heute in Berlin.

Die Nacht war bleich, die Lichter blinkten
Emma Braslavsky

Verlag: Suhrkamp (2019)

© Autorin: Ariane Niehoff-Hack, Frauen in der Einen Welt

 

 

 
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